MÖHRENSAFT

Text von Stefanie Böttcher / Kuratorin Künstlerhaus Bremen / im Rahmen der Ausstellung (UM)KEHRUNGEN, Kunstverein Braunschweig, 2007

„Ich könnte immer irgendwo sein,
einfach nur um unterwegs zu sein.
dieser Ort fing mir an zu gefallen,
weil er mich so in Ruhe ließ.“

(Kathrin Horsch)

Für ihre Arbeit Möhrensaft (2001) begab sich Kathrin Horsch an 72 aufeinander folgenden Tagen in den Schlemmermarkt am Hambuger Rathaus. An jedem dieser Tage bestellte sie einen Möhrensaft und notierte anschließend den geführten Dialog mit dem Verkäufer. Die ritualhaften Gespräche hielt die Künstlerin später in Buchform und einer Audio-Version fest, die in ihrer Struktur die stetige Wiederholung von Situation und Konversation aufgreifen. Eben diesem Moment des Ritualhaften, Distanziert-Rationalen spürt Kathrin Horsch in ihren Arbeiten nach. Dabei erhalten die zunächst oft übertrieben sachlich anmutenden Situationen, die sie provoziert und in ihren Arbeiten festhält, durch die Präsentation in der Endlosschleife, eine ungeahnte Verschiedenartigkeit und Ästhetik.
Aus den anfänglich minimalistischen und rein zweckgebundenen Unterhaltungen entwickelten sich mit fortschreitender Dauer oberflächliche Gedankenaustausche, wie sie jeder kennt und permanent vollzieht. Aus der obligatorischen Frage nach dem Befinden, dem Plaudern über’s Wetter und den Job spann Kathrin Horsch ein schier endloses Geflecht, in dessen repetitive, wie meditative Struktur der Rezipient von Möhrensaft verstrickt wird. Wird er zunächst auf die Banalität der Gesprächsrituale, denen er sich täglich unterwirft, gestoßen, so enthüllen sich sukzessiv deren Verschiedenartigkeit und spezifische Schönheit. Seine Konzentration auf das Alltägliche schärft sich und das Gewohnte erfährt gleichermaßen eine Neubewertung. Erst durch die Aneinanderreihung scheinbarer Belanglosigkeiten enthüllt sich die ihnen inne wohnende Poesie.
Indem Kathrin Horsch bei der von ihr verursachten Situation gezielt das Moment der Wiederholung einsetzt, erzeugt und schürt sie gleichermaßen bei den Protagonisten, den Rezipienten und sich selbst eine Erwartungshaltung, eine Spannung. Die Sehnsucht nach Auflösung des Zustands erwacht und ruft das Harren auf ein besonderes Ereignis hervor. Doch ebendiese Erwartung konterkariert die Künstlerin, indem sie auf eine progressive bzw. dynamische Entwicklung oder einen Erzählstrang innerhalb ihrer Arbeiten verzichtet. So werden sämtlichen Beteiligten lediglich fragmentarische, dokumentarisch anmutende Teilstücke präsentiert, die jedoch durch das Anfüllen mit eigenen Erlebnissen und Assoziationen eine Spezifik erhalten, und das Interesse am menschlichen Gegenüber geschürt. Anstatt den Involvierten also eindeutige Umgangsformen für die präsentierte Situation zu diktieren, belässt Kathrin Horsch sie vielmehr auf sich selbst gestellt in einem Schwebezustand und eröffnet ihnen somit die Möglichkeit zur individuellen Rezeption wie Handhabung.
Die Künstlerin selbst beschreibt ihre Arbeitsweise als der Feldforschung verwandt und beobachtet in diesem Kontext die Wahrnehmung von alltäglichen Begebenheiten, Gesprächen sowie das Verhalten der Menschen in diesen Situationen. In der Tat muten Kathrin Horschs Werke wie Dokumentationen der Alltäglichkeit, gelegentlich fast wie Sozialstudien an. Dabei werden die verschiedenen Spielarten des Alltäglichen jedoch nicht als starre Muster oder Rahmen aufgefasst. Ganz im Gegenteil der Verzicht auf Entwicklung oder Steigerung und die Verkettung scheinbarer Belanglosigkeiten steigern noch deren Schönheit und Authentizität.